Die Tage rund um Davids Geburt

(in Reginas eigenen Worten)


Tagebucheintragungen vom 04.07.05 bis 20.07.05

Liebe LeserInnen unserer Webside,
natürlich ist in den letzten 23 Tagen jede Menge geschehen. Gestern hat mir Martin ein Laptop mit auf die Frühchenstation gebracht, so dass ich versuchen kann, euch die letzten Ereignisse zu schildern.

Die letzten Tage der Schwangerschaft waren nicht einfach. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass man so viel Flüssigkeit einlagern kann, abgesehen von ein paar kleinen Pfündchen......
Die körperlichen Veränderungen waren also für mich erschreckend, aber da musste ich durch. Am schlimmsten war, dass alles so anstrengend wurde.

Am Sonntag, den 03.07. schlug Pia vor, dass wir gemeinsam ein schönes Eis essen gehen und Abschied feiern. Gesagt, getan, an der Eisdiele schenkte ich Simon, Pia und Martin noch ewas ganz Persönliches in Buchform, worin steht, wie sehr ich sie liebe und noch mehr, also eine Notliebesversorgung für die nächsten Tage und Wochen. Mit diesem Geschenk hatte ich genau ins Schwarze getroffen und es war eine Freude, die strahlenden Gesichter meiner Lieben beim Lesen der Lektüre zu sehen. 
Danach ging es nach Hause und ich packte meine Koffer. Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt..... Angst auch vor den Stunden der Wahrheit stellte sich ein. Wird David gesund sein? Wird man bei mir etwas finden?
Dann ging es am Morgen, den 04.07. los. Simon und Pia hatten noch Schule, aber ohne Stress, und Martin wollte seinen letzten Arbeitstag noch regeln. Deshalb sollte er mich einfach an der Klinik raus lassen, denn den Rest schaffe ich schon. Also schleppte ich die Koffer in den 5. Stock, d.h. die letzte Etage ist ohne 
Aufzug, aber jetzt dürfen die Wehen ja fast kommen. Natürlich wusste man von mir im Kreißsaal erst einmal nichts. Der Oberarzt, der mich einbestellt hatte, machte den Vorschlag, dass ich noch einmal nach Hause gehe, nach der Untersuchung, weil im Moment der OP-Plan voll sei. "Wie soll ich nur nach Hause kommen?", dachte ich, "mit den schweren Koffern !" Ich blieb aber ganz ruhig dachte nur: "Jesus, du bist der Chef und du wirst schon eine Lösung finden." Prof. Baltzer schilderte ich, dass das Kind jetzt nicht mehr wächst und in dieser Woche schon geholt werden sollte. 
Später setzte sich der Oberarzt aus dem Kreißsaal zu mir. Er sagte, dass er mich aufnehmen werde und ich nicht nach Hause muss. Ich hätte ihn die ganze Zeit sehr beeindruckt und sicherlich werde ich auch bei einigen seiner Kollegen in bleibender Erinnerung bleiben. "Gut, dass ich so Vieles nicht weiß", konnte ich da nur sagen. 
Es dauerte noch bis zum Mittag, dass mir ein Bett auf der Entbindungsstation zugeteilt werden konnte. Zwischenzeitlich kam die Anästesistin und klärte mich über die Spinale auf. Mit auf dem Zimmer war eine Afrikanerin mit ihrer frisch geborenen Tochter Cindy. Die Mutter war schon wieder richtig fit, obwohl das Mädchen erst einige Stunden alt war. In den folgenden Tagen lernte ich das afrikanische freudige Temperament kennen und erlebte, dass auch schon kleine Baby`s diese Gabe geerbt haben und somit die Nacht zum Tage werden lassen können. Überhaupt geht es auf der Station sehr multikulturell zu. Später hatte ich eine Frau aus Sri Lanka bei mir auf dem Zimmer, auf den Fluren sind viele Türkinnen und aus China oder Japan waren auch Familien dort. Ein Fotograf hätte sicherlich an den verschiedenen Baby´s seine helle Freude gehabt. Gegen Abend kam Martin. Er ärgerte sich etwas darüber, dass man mich beinahe nach Hause geschickt hätte.
ansonsten spürte man ihm die Anspannung an, auf verschiedenen Stellen gleichzeitig gebraucht zu werden.
Abends dachte ich, dass es noch eine gute Idee ist, zu duschen. Leider bemerkt ich dann in der Dusche wieder einen Knoten genau unter der Narbe. Ich hatte schon seit Tagen Schmerzen in dem Bereich und schob es wieder auf die Chemotherapie. Psychisch kam diese Entdeckung wie ein Messerstich ins Herz. "Es ist noch nicht zu Ende!", dachte ich. "Bringt es etwas, jetzt noch einen Arzt zu rufen?" "Warum ist es mir nicht vergönnt, morgen einfach ein Kind zu bekommen? Warum müssen schon die nächsten Schatten nach mir greifen?
Heißt das, dass die Chemotherapie nicht gewirkt hat? Da ist jemand, der mir keine Freude gönnt, aber ich werde mich vor Angst nicht lähmen lassen!!!!" Weinend rief ich Martin an. Beide beschlossen wir, dass zuerst der Kaiserschnitt ansteht und man im Vorfeld oder direkt danach die Ärzte natürlich auch auf diesen Knoten aufmerksam machen muss. Es steht ja auch noch eine gründlichen Untersuchung nach der Geburt an, wovon viel abhängt. Die Stunden der Wahrheit werden uns nicht erspart bleiben. Gemeinsam beteten wir am Telefon, was mich tröstete. Wie schon erwähnt war der Schlaf in der Nacht aufgrund eines Schokobaby`s relativ schlecht.

Ich wusste schon, dass es sich Prof. Baltzer nicht nehmen lassen wird, unseren kleinen Sohn zu entbinden.
Früh morgens kamen schon Martin und Beate. Ich war sehr angespannt, wissend dass es Angenehmeres als Kaiserschnitte gibt. Irgendwie war ich aber auch froh, dass David besser für sich alleine kämpfen kann.
Meine Seele war bereit, sich vom Kleinen zu seinen Gunsten zu trennen. Eine Hoffnung hatte ich noch, den Kleinen wenigstens ganz kurz sehen zu dürfen. Ilka kam noch vorbei und wir wünschten uns gegenseitig Gottes Segen . Kurz nach 9 Uhr ging dann unerwartet schnell die Tür auf und man sagte mir, dass es jetzt in den OP geht. Martin und Beate kamen noch bis kurz vor den Kreissaal mit. Im Kreissaal wurde ich dann blitzartig rasiert, denn dort standen mehrere Geburten gleichzeitig an. Dann kam die Ärztin an, die mir schon viermal vergeblich einen Venenzugang legen wollte. Entsetzt schaute ich sie an und sagte nur noch "Nein, bitte nicht von Ihnen, ich bin noch vom letzten mal traumatisiert." Später einigten wir uns darauf, dass sie von mir einen einzige Chance bekommt und nicht mehr. Offensichtlich wirkt das, denn die Braunüle saß auf Anhieb. 
Dann wurde ich in den OP geschoben und dort wurde ein zweiter Venenzugang gelegt. Ich sollt mich setzten und versuchen, einen runden Rücken zu machen. Das ist gar nicht so einfach, wenn man hochschwanger ist und weiss, dass da gleich eine große dicke Nadel (jetzt spielt meine Fantasie verrückt, denn ich habe die Nadel gar nicht gesehen und wollte es auch gar nicht). Auf jeden Fall stellte ich mich auf dem OP-Tisch als Sitzriese heraus. Die Spinale konnte super gesetzt werden und durch eine Vorbetäubung habe ich den eigentlichen Stich gar nicht gemerkt. Nachdem ich wieder auf den Rücken gelegt wurde, durfte auch Martin kommen. Grüne Kleidung steht ihm wirklich gut. Professor Baltzer prüfte die Sensibilität durch Kälteempfindung und ging frisch ans Werk. Man spürt alles, aber es schmerzt nicht, d.h. aber nicht, dass es nicht unangenehm ist. Nach der Eröffnung und manuellen Erweiterung drückte man sehr fest auf meinen gesamten Körper, besonders auf meinen Brustkorb, so als ob man mir die Rippen brechen wollte. Das tat auch weh und ich bat Martin mir irgendwas zu erzählen, aber er war sprachlos und einfach blockiert. Also übernahm die Anästesieschwester das Schildern, was gerade getan wird und warum und lenkte mich auch so ab bzw. half mir das Gefühlte einzuordnen. Leider wurde mir David Jonathan nicht gezeigt, so dass ich auf die Schilderungen von Martin und der Schwester angewiesen war. "Hat er Haare?", fragte ich. "Oh das wissen wir nicht so genau, wir haben nur Käseschmiere gesehen." Später brachte Martin mir ein Foto und erzählte mir stolz von David, dass er zwar auf die Intensivstation muss, aber nur zu Beobachtung und eine leichte Atemunterstützung braucht. Gerade als Martin nach David schaute, schaute sich der Professor Baltzer alle meine Organe an und das war gar nicht so toll. Es ist so, als ob man vollkommen ausgeräumt und wieder eingeräumt wird. Auf jeden Fall ist so eine Geburt auch sehr anstrengend und ich persönlich würde jederzeit eine normale Geburt einem Kaiserschnitt vorziehen, denn weh tut beides, aber nach dem Kaiserschnitt kommt noch so einiges an Schmerzen, zumindest bei mir, wenn die 
Spinale nachlasst und das war mehr als oberheftig, kann ich nur sagen. Also Ihr lieben Schwangeren, durch einen Kaiserschnitt kommt Ihr an der Geburt und eventuellen Schmerzen nicht vorbei. Und Ihr lieben Frauen, die meinen, keine richtige Geburt erlebt zu haben, weil sie einen Kaiserschnitt hatten, die darf ich trösten, Ihr hattet eine richtige Geburt! 
Nachdem der Professor Baltzer gut gelaunt sein Werk an mir vollendete, "Das Geschlecht hat er vom Vater, den Rest von der Mutter" sagte er zum Beispiel, kam ich ihn den Aufwachraum. Dort erkannte man mich wieder, weil ich ja zu Beginn des Jahres auch auf der Station 3 war. Nachdem die dritte Schwester bemerkte, dass ich aber ganz schön zugenommen hätte, bemerkte ich, dass ich doch gerade eine "Blitzdiät" gemacht hätte.
Ilka wurde auch in den Aufwachraum geschoben. Sie war schlauer, denn sie hatte den Eingriff mit einer Vollnarkose machen lassen. Die andere Frau im Aufwachraum hatte auch einen Kaiserschnitt, war aber fit und hatte ihren Sohn schon auf dem Arm. Da konnte man schon ein wenig traurig werden. Also schickte ich Martin und Beate weg, um nach David zu sehen. Das taten sie auch und ihr Bericht tröstete mich.
Die Nacht und der folgende Tag waren von Schmerzen geprägt. Glücklicherweise bekam ich ihn der Nacht etwas ziemlich Sedierendes, wodurch ich trotz Cindy zur Ruhe kam. Am Morgen versuchte ich aufzustehen, aber es gelang mir beim besten Willen nicht - und der Wille zu David zu können war ja da! Mittags versuchte ich es wieder, aber als ich realisierte, das es nicht geht, schossen aus mir nur so die Tränen heraus. 
Ich wollte doch zu David und mein Körper erlaubte es mir nicht! Nachmittags kam Beate. Sie sagte mir, dass es ganz normal ist, wenn man berücksichtigt, was mein Körper schon alles mitgemacht hat. Gemeinsam mit ihr klappte gegen Abend der dritte Versuch. Wie lang doch der Weg vom Bett zum Rollstuhl sein kann!
Beate brachte mich zum ersten Rendevouz mit meinem Sohn David Jonathan. Endlich konnte ich ihn sehen und wenigstens streicheln. Er wirkte so klein, aber perfekt und auch souverän auf mich. Da war gar kein Vorwurf an mich: "Erst jetzt kommst du!?" Fasziniert und verliebt schaute ich mir den kleinen Mann an, den ich noch vor etwas mehr als 24 Stunden im Bauch gehabt hatte. Man kann diese Gefühle nicht beschreiben, man muss sie einfach erleben. Tränen liefen mir die Wangen herunter. Er lebt!!! Er hat es geschafft!! Es hat sich gelohnt, egal wie es mir mir ausgehen wird. Gepriesen sei Gott für seine große Tat an mir! Die Welt ist mit David so viel reicher geworden , aber wie arm ist sie, weil viele Davids oder Davitas nicht leben dürfen! Alles an David war und ist perfekt, sogar seine Hüfte ist in Ordnung. Das einzige was er noch tun muss, ist wachsen. Schon im Brutkasten faszinierte mich David mit seiner Ruhe und Gelassenheit. Jetzt lehrte er mich die Kunst der kleinen Schritte. Seine Schritte waren Atmen lernen und später auch Trinken und Verdauen. Meine Schritte waren, mich den kommenden Untersuchungen nach einer kleinen Ruhepause zu stellen. Mein Bruder Helmut konnte David auch sehen. Auch er weinte und freute sich, dass es David geschafft hat. Wenn er doch Gott nicht ablehnen würde!
In den nächsten Tagen bekam ich ganz liebe Besuche. Sie kamen, obwohl sie David nicht sehen konnten und obwohl ich auch nicht die beste Gastgeberin war. Mami kam und war so stolz auf ihr kleines Enkelkind Nr. 12.
Von einigen bekam ich ganz liebe Sachen für mich persönlich geschenkt, obwohl man doch meistens dann etwas für das Kind schenkt. Es war aber eine ganz tolle Botschaft an mich: "Liebe Regina, auch wenn der Kleine jetzt nicht mehr in dir drin ist, sind wir an dir interessiert und wie es mit dir weitergeht. Auch wenn dein Körper krank ist, bist du uns wertvoll und du bist es wert, dich weiterhin zu pflegen und auf dich zu achten. Wir sind deine Freunde und haben dich und deine gesamte Familie lieb." Wenn man nach einer Entbindung in den Spiegel schaut und weiterhin mit Wassereinlagerungen und Fetteinlagerungen sowie Schmerzen und steifen Fingern zu kämpfen hat, dann ist so eine Botschaft Balsam für die Seele und ein Weg hin zur erneuten Selbstannahme, denn ich gestehe, als "Miss Chemo" kann ich mich noch nicht anmelden und Selbstannahmeprobleme gibt es.
Dafür waren die Veränderungen an meinem Körper in den letzten Monaten einfach zu gravierend.
So ausgerüstet versuchte ich mich auf den großen Untersuchungstag am Freitag, also den vierten Tag nach der Entbindung vorzubereiten. Mittlerweile hatte ich schon genug Ärzten vom Knoten erzählt. Bislang konnte sich kein Arzt darauf einen Reim machen und man schob es auf hoffentlich Narbengewebe! Also, früh am morgen des Freitags wurde ich schon vor dem Frühstück mit einer Praktikantin auf die Reise geschickt. Zuerst sollte es in die Nuklearmedizin gehen, wo für das Knochencintegramm ein Kontrastmittel gespritzt werden sollte. Dort begrüsste mich mich ein junger Arzt, der vor ca. 2 Monaten schon meine Schilddrüse untersucht hatte. Schon damals fiel er mir durch seine "geistreichen und sensiblen" Bemerkungen auf. Folgender Dialog spielte sich dann ab: Er: "Wir müssen ihnen ein Kontrastmittel spritzen, dafür müssen sie uns aber bestätigen. dass sie nicht schwanger sind. "
Ich: " Kein Problem, ich hatte vor vier Tagen einen Kaiserschnitt!"
ER: "Ach sie sind das, da kann man ja noch gratulieren. Wann ist es denn gekommen?"
Ich: " In der 34 SSW !"
Er: " Das ist aber früh! Geht das denn?"
Ich:" Es geht noch früher!"
Er: " Sie dürfen dann aber wegen dem Kontrastmittel nicht stillen und müssen uns das unterschreiben!
Ich: "Auch das ist möglich, wegen der anstehenden Strahlentherapie darf ich nicht stillen!"
Er: " Das Mittel ist ja radioaktiv. Sie sollten in den nächsten Tagen besonders den Abstand zu kleinen Kindern meiden."
Ich:" Darf ich dann mein Kind nicht auf den Arm nehmen?"
Er: " Für die nächsten 3-4 Tage sollten sie das nicht machen!"

Ab dem Moment konnte ich nicht mehr reden sondern nur noch schluchzen. Schliesslich hatte ich David erst 2 mal kurz gesehen und noch nicht auf den Arm gehabt und für diesen Tag wurde mir das versprochen.
Andere Ärzte kamen dazu und fragten, was los sei. "Klar, sie ist dann kontaminiert!" Schluchzend fragte ich, ob ich denn auch eine Gefahr für andere Schwangere sei, denn im Moment sei eine Schwangere bei mir auf dem Zimmer und ob ich denn vor der Spritze noch zu meinem Sohne könne. "Wie , ist er denn nicht bei Ihnen ?", fragte dann der Arzt. "Nein. er liegt doch noch auf Intensiv!", antwortete ich schluchzend. Dann kam der Oberarzt dazu. Er regte sich auf, was man mir gesagt hatte und erklärte alles für Quatsch. Dann meinten die anderen Ärzte, dass eine halbe Stunde vor dem Brutkasten ausnahmsweise möglich sei. Ich aber weinte nur noch und bekam meine radioaktive Ladung gespritzt. Danach ging es zum Sonogramm der Organe, zur Mammographie (Vorsicht, der Port kann leicht zerquetscht werden), zum Röntgen der Lunge, zur Sonographie der Brust, wo sich der Knoten bestätigte und dann zum Knochencintegramm, wo man ganz flach und bewegungslos ca. 40 Minuten liegen muss. Auch diese Untersuchung ist mit einem frischen Bauchschnitt nicht besonders angenehm, besonders, wenn man kaum Hilfe bekommt. Danach schilderte mir der Oberarzt, dass mein rechter Oberschenkel auffällig sei, ob ich denn einmal einen Bruch gehabt hätte. Dieser Vormittag war für mich wirklich eine Tortur. Gegen Mittag (immer noch nüchtern ohne Essen und Trinken) war ich zurück in meinem Zimmer. Dort gab es Mittagessen und ich versuchte so viel wie möglich zu trinken, damit die radioaktiven Stoffe ausgeschwemmt werden. Nachmittags kam der Professor zu mir und schaute sich noch einmal den Knoten an. "Am Montag Morgen wird Frau Berg noch vor der Visite von mir operiert", war seine Anordnung. Damit war ich einverstanden, aber absolut geschlaucht und traurig, dass wie von mir befürchtet, noch nicht alles durchgestanden ist. Abends war ich dann bei David und hielt ihn doch in meinen Armen. Das war tröstend für mich und vielleicht auch ihn, trotz Strahlung (oder doch nicht, weil man in 5 Stunden das meiste verloren hat). Es ist müßig, darüber nachzudenken.

Sonntags ließ ich mich beurlauben und ging in unseren Gottesdienst, um Gott für David zu danken. Dort wurde auch für mich wieder gebetet. Es war schön, wieder in der Gemeinde zu sein. Simon und Pia begrüssten mich lieb, aber sie hatten sich auch schnell verabredet und vergessen, sich bei mir zu verabschieden. Das hat weh getan. Ansonsten verlief der Sonntag normal.
Montags war es dann wieder so weit. Ich hatte gar keine Lust auf eine erneute OP. Auch im OP gab es schnell Verwirrung, da ich meine Einwilligungserklärung noch einmal auf den Anästesiebogen für den Kaiserschnitt gemacht hatte. Axillar - Op oder Sectio. Gut, dass ich mit aufpasst und glaubhaft erklärte, dass die Axillar - OP schon richtig sei und die Sectio bitte nicht noch einmal durchgeführt werden solle. Ich glaube, dass hätten aber alle gemerkt. Die Narkose dauerte wirklich nicht lange. Dann kam ich in Ilkas Zimmer, die an diesem Tag entlassen wurde. So kam ich an ein P-Zimmer als Kassenpatient. Ilka und ich hatten uns im Vorfeld öfter besucht und eine schöne gemeinsame Zeit auch im Gebet erlebt, wofür ich sehr dankbar bin.
Beate wartete im Zimmer auf mich. Es tut gut, wenn jemand auf einem wartet, auch wenn man durch die Narkose kaum ansprechbar ist. Es ist jemand da, das merkt man auch im Schlaf. Beate hatte mein Zimmer eingeräumt und darüber habe ich mich riesig gefreut. Mittags ging sie und ich schlief weiter den Schlaf der Gerechten. Abends war ich sogar in der Lage, zu David zu gehen und ihm die Flasche zu geben. Das gibt Motivationsschübe! Nach der Operation stand wieder das Warten auf die Untersuchungsergebnisse aus. Weiterhin war aufgrund meines Knochenbefundes ein MNR geplant. Nach viel Ruhe, Gespräch mit Gott, Tränen laufen lassen, die mit der hormonellen Situation sicherlich und aber auch meiner Situation zu tun haben,viel Zeit mit David und Zweisamkeit mit Martin war mir zumute. Besuche wollte ich gar nicht viele und auch nur wenige Anrufe (sorry), denn jeder Anruf bedeutete, sich auch wieder mit der Schilderung der Situation zu stellen. Aussprechen und denken sind zwei verschiedene Dinge. Dann kam Mittwoch der Tag für das MNR. Wieder gelangte ich an Personal, die lieber die Technik sieht und das menschliche Schicksal nicht an sich heranläßt. Man wird auf einer Schiene gefesselt (war ganz schön mühselig, sich ohne Hilfe darauf zu legen), dann wird das Bein fixiert und es wird eindringlich gesagt, wie wichtig es ist, sich nicht zu bewegen, einen Klingelknopf gibt es noch und dann ab in die Röhre, worin es sehr laut in den unterschiedlichsten Tönen - aber immer wieder unangenehm - laut knattert und hämmert. Das Zeitgefühl ging verloren, ich schloss die Augen und stellte mir eine grünen Wiese vor, ein Kind war ich, geborgen und ohne Angst. Zwischenzeitlich wurde ich herausgeschoben, ein Kontrastmittel wurde mir in die Handvene gespritzt, der Arzt machte eine unglückliche Bewegung und der Butterfly flog heraus. "Haben sie die Nadel herausgerissen?" war meine Frage. "Ich hab ja auch nur zwei Hände!" war seine Antwort. Noch heute tut mir die Hand davon weh. Froh war ich , als die Untersuchung beendet war. Ergebnisse wollte ich nicht hören, denn er Arzt telefonierte schon: "Wie ich befürchtet habe...."; meinte er mich? Die Stunden der Wahrheit werden kommen! 

Am nächsten Tag half mir Psalm 118 aus der Bibel sehr. Fast alle Verse passten genau auf meine Situation. Es lohnt sich, den Psalm in der Bibel zu lesen! Am meisten sprachen mich die Verse 17 und 18 an, aber man sollte sie im Zusammenhang lesen: Ich werde nicht sterben, sondern des HERRN Werke verkündigen. Der HERR züchtigt mich schwer, aber er gibt mich dem Tode nicht preis. Am Freitag, dem 14.07., sagte mir die Ärztin das histologische Ergebnis, da ich zur Strahlentherapie muß, auf dem ebenfalls dass Ergebnis steht. Ein subkutaner Tumor mit Grading 3! Das bedeutet neben Tränen, die geflossen sind, doppelte Strahlentherapie, nämlich der Axilla und meiner gesamten linken Brust. Professor Schulz sollte mich über die Nebenwirkung der Therapie aufklären. Verbrennungen, 2mal die Lunge betroffen mit nachfolgender Vernarbung, dicker Arm, Lähmung des Armes, Krebs, Rippenosteoporose, Schrumpfen der Brust und Veränderung der Haut. ES MACHT KEINEN SPASS!!!!! Da hatte ich wieder viel zu verdauen! Nachmittags kam Professor Baltzer, der mir versprach, dass ich am nächsten Tag zu David auf die Frühchenstation darf. Ein Lichtblick! Alle weiteren Untersuchungen können auch ambulant laufen! Professor Baltzer freute sich sehr über die Geburtsanzeige und sagte mir, dass ihm an unserem Fall viel persönliches Herzblut hängt. Später hat er sich sogar noch schriftlich für die Karte bedankt, was mich sehr berührte. So ausgerüstet, ging ich am Samstag zu David herüber mit Sack und Pack. In den nächsten Tage verbesserte sich Davids Situation zusehends. Bei mir trank er die Flasche immer leer, so dass er schnell keine Sonde mehr brauchte, nachdem er sie sie sich selber gezogen hatte. Auf diese Art und Weise wurde ich mutig, um eine Entlassung am 22 oder 23 Juli zu bitten, damit mir noch eine Woche zu Hause vor der Strahlentherapie bleibt. Abgesehen davon betete ich dafür. Das was zuerst unwahrscheinlich war, wurde immer realistischer, da alle folgenden Untersuchungen beim Ultraschall und dem Gehör sowie der Hüfte unauffällig waren. Also war David gesund, trank die Flasche und musste nur noch wachsen, was er ja auch zu Hausen in Kempen kann. Natürlich lernte ich auf der Frühchenstation und der Intensivstation nette Mütter und die verschiedensten Schicksale kennen. Mit Christoph, dem Zimmernachbar von David aus der Intensivstation und seiner Mutter wollen wir weiterhin Kontakt halten. Günstig, denn sie kommen auch aus Kempen. Ansonsten freue ich mich auf das Frühchenfest am 21.08., wo ich sicherlich einige Mütter wiedersehe. 

Davids Zustand wurde täglich stabiler. Nachts schonte man mich noch, weil man sein Trinkverhalten einschätzen wollte. So konnte ich am Donnerstag tatsächlich Martin sagen, dass ich nach Hause darf. Er war aber eher erschrocken bis entsetzt, wohl wissend, dass ich mit dem Ordnungszustand im Haus nicht einverstanden sein werde. Bedenklich kräuselte sich seine Stirn. Abend rief mich noch Simon an und betonte, wie gut er gekocht hätte und dass er doch so viel meine Arbeit gemacht hätte. Es kam aber auch heraus, wie einsam er sich in den letzten Tagen gefühlt hat und dass Martin aufgrund der Situation sehr angespannt war. "Schön, dass wir als komplette Familie so noch den Samstag haben!", dachte ich. "Ich werde nichts sagen!", nahm ich mir vor. Leider können auch meine Blicke und Taten sprechen (wenn ich z. Bsp. den überlaufenden Müll wegbringe). Schnell stellte sich zu Hause heraus, dass ich natürlich Vieles zu unordentlich finde. In Wirklichkeit war mir nach Weinen zumute, weil es in jeder Ecke etwas zu räumen gab (nach meiner Einschätzung). Dazu kam , dass Martin noch im Keller etwas werkelte und es unangenehm nach Farbe roch. Schnell kamen also doch die Kommentare an mich. "Du bist ja nicht zufrieden! Du siehst nur, was nicht gemacht wurde, aber nicht was alles geschehen ist (Das meine ich als Hausfrau auch ständig!)" Als am nächsten Tag nach einer etwas unruhigen Nacht durch David auch noch Mittags wenig geschah, was den Ordnungszustand des Hauses anging, kriegte ich den Rappel und kehrt für einige Stunden den Haustyrannen heraus. Martin meint noch heute, dass ich mich entschuldigen müsse, aber ab 18 Uhr konnte ich mich endlich entspannen und auch zu Hause fühlen. So war es einfach und ich hoffe. dass nach dem nächsten Krankenhausaufenthalt genügend Zeit für eine Putzkolonne bleibt. Mal sehen, davon aber später. David wurde sehr von Simon und Pia liebkost und ich glaube, er wird sich bei uns wohl fühlen. Lustig war, dass er nie lange dort liegen blieb, wo ich ihn hingelegt hatte. So lernte David schon spannende Ablagen und verschmuste Geschwister kennen. 

Sonntags wurden Simon und Pia wie verabredet von meinem ältesten Bruder Norbert abgeholt, die beide zu ihrem Urlaub nach Kroatien mitnehmen werden. Ab Mittag waren wir alleine. Simon rief noch zu Martin: "Papa, ich werde dich vermissen!" "Du Heuchler!", war Martins Antwort und Simon grinste nur noch. Auch Pia hatte keine Loslösungsprobleme. Auch ich bin froh, denn ich weiß, dass es den beiden in Kroatien jetzt sehr gut geht und ich einfach eine verliebte und ruhige Zeit mit Martin erleben darf. 

Große Vorfreude auf meinen Geburtstag machte sich breit, denn ich wünscht mir ja einen Überraschungstag von Martin. So hatte Martin aber aufgrund von verschiedensten unkalkulierbaren Situationen (Bin ich noch im Krankenhaus und ist David dabei?) ein echtes Problem. 4mal hat er den Tag umorganisiert. Zuerst wurde ich von ihm zum Frühstücken in ein Kaffee entführt. Dazu konnten sich noch spontan Armin und Beate gesellen. Später entführte Martin mich nach Maastricht, wo es leider zum "Winkelen" und "Bummeln" zu viel regnete. Trotzdem war es schön und eine ganz tolle Idee, nur etwas nass. Abends gab es noch eine Überraschungsparty bei Freunden für mich in Aachen. Also, es war ein wirklich schöner Tag und als Anekdote bleibt in unserer Erinnerung, dass David am Abend etwas unleidlich wurde und überraschend schnell die Flaschen leer getrunken hatte. Erstaunt sah ich gegen 22 Uhr Martin an und fragte: "Hast du auch wirklich 2 Messlöffel für die Milch genommen?" Armer Martin, der zu ersten Mal die Milch angerührt hatte. Ich sah seinen entsetzten Blick und als Antwort kam: "Nein, nur einen!" Somit lebte unser Sohn seit dem Nachmittag auf Diät. Schnell packten wir dann die Sachen und machten uns auf den Heimweg. "Mit Stillbrüsten wäre uns das nicht passiert, aber der hat es überlebt!" Ich glaube, beim ersten Kind hätte ich Martin so ziemlich zu Schnecke gemacht, aber.....

Natürlich wurde diese Woche doch ganz schnell voll. So rief zum Bsp. das Krankenhaus an, dass ich vermutlich im rechten Oberschenkel keine Metastase habe, aber ein Brodie-Abszess das auch nicht so toll sei und ich mich deshalb in der Chirurgie am Mittwoch vorstellen soll. Tja, wenn ein kleines Mäuschen sich öfter nachts meldet, dann findet man die Uhrzeit 8 Uhr im Krankenhaus unmenschlich. In der Unfallchirurgie kamen wir an einen sehr freundlichen Arzt. Er sagte, das mein Problem sehr komplex sei und er sich lieber mit den Kollegen beraten möchte, denn eine Metastase kann ohne operative Abklärung nicht ausgeschlossen werden und auch das Abszess sollte nicht so bleiben. So rief mich dieser freundliche Arzt am nächsten Tag an und eröffnete mir, dass man mich nächste Woche Freitag am Bein operieren möchte. Die dazu parallel laufende Strahlentherapie sei nicht kontraindizierend. Man kann auch erst während der Operation entscheiden, ob eine Platte ins Bein eingesetzt werden muss. Ich müsse mich auf zwischen 1 Woche und 2 Wochen  Krankenhausaufenthalt einstellen. Was ich denn in der Zeit mit dem Säugling machen würde? Tja, auf alles habe ich zur Zeit auch keine Antwort, nur dass es mir im Moment an operativen Eingriffen reicht und das mit dem Bein zusätzlich wirklich nicht sein musste. Beim nächsten Gespräch mit Jesus werde ich es ihm auch sagen, dass jetzt aber wirklich genug ist! Da soll ich noch einmal ins Krankenhaus, bevor die schönen Blumensträuße verblüht sind, die man mir geschenkt hat. Z. Bsp. bekam ich von Martins Firma einen wunderschönen Strauß Geschenk, der mein Herz sehr erfreut. Wo bedankt man sich eigentlich persönlich, wenn einem die ganze Firma was schenkt? So kann ich weiter machen, was an liebevollen Zuwendungen zur Geburt oder zu meinem Geburtstag gekommen ist. Danke, es tut sehr gut! Aber genau in diesem Gefühl des Nestbauens für David möchte man als frisch gebackene Mutter bleiben und dann kommt schon der nächste Einschnitt. So blieb tatsächlich Martin und mir nur diese eine Woche zum Einleben als kleine Familie. Zusätzlich kamen doch noch Arzttermine für David und mich und dann waren die Nächte ein ganz spezielles Thema. Also, jünger wird man nicht! 

So gehe ich mit sehr gemischten Gefühlen in die nächste Woche, wo mich die Strahlentherapie und die Operation erwartet. Wie wird Martin die Situation meistern und wie wird es mir nach der dritten Operation innerhalb von 4 Wochen ergehen? Wo bleibt eigentlich meine ganz persönliche Intimität, nachdem mich so viele Ärzte und auch Pflegepersonal und OP-HelferInnen im Evakostüm gesehen haben? Auch hier von mir eine ganz neue Erkenntnis. Intimität ist Begegnung mit jemanden in Verbindung von Körper, Seele und Geist ganz ohne Scham im (hoffentlich ) geschützten Raum. Diese Intimität ist mir geblieben und die teile ich ganz gerne mit einer bestimmten Person, ratet mal mit wem? Das war so eine ganz kleine Liebeserklärung am Rande. Ansonsten bewegen mich sehr viele Gedanken. Zum Bsp. werde ich jemals wieder arbeiten können? Welchen Wert habe ich noch in der Gesellschaft als schwer kranke Frau? Was macht einen Menschen wirklich attraktiv? Demnächst habe ich wieder Zeit zum Nachdenken und dann kommen vielleicht noch ein paar Antworten hier hin, oder habt ihr welche? Also, bis die Tage..... 

Eure Regina

Start

Martin

Regina

Simon

Pia